Da steht meine Wenigkeit wieder. Wie immer verspüre ich den Zwang, auf den Boten zu warten. Nicht an irgendeiner Stelle in der Wohnung, nein. Entscheidend ist der unbequeme Fleck direkt am Küchenfenster. Da vermag ich den Weg und den Parkplatz vor dem Haus leicht zu überblicken. Dort kommt niemand vorbei, ohne das meine Blicke denjenigen treffen. Warum jedes Mal so eine Unruhe in mir aufkommt, wenn ich etwas geliefert bekomme, entzieht sich meiner Kenntnis. So war es schon immer.
Gleich nach dem Aufstehen am Morgen gucke ich meine Mails durch. Gesetzt den Fall, dass ich ein oder mehr Teile bestellt habe. Es kommt immer eine Benachrichtigung, sofern das Paket zugestellt wird. Bin somit im Bilde, wenn etwas ankommt. Der Schlaf in der Nacht vorher ist kaum erwähnenswert. Da steigt in mir dann so ein Gefühl auf, was aus meiner Kindheit hervorgeht. Der erste Schultag nach den Sommerferien, insbesondere nachtsüber. Einschlafprobleme, flauer Magen, Bauchkribbeln, Nervosität, zappelig sein und dringend aufs Klo, ein großes Geschäft erledigen. Und genau dann, wenn das exorbitante Entleerungsritual erfolgreich in den Verhandlungen steckt und der aufziehende Geruch alles beschleunigt, klingelt es an der Tür. Ich denke nur: Kacke!
Im Eiltempo den Hintern notdürftig abgewischt, ein paar Blättchen Klopapier zwischen den Backen geklemmt und Hose hochziehend eile ich zur Wohnungstür, drücke den Summer und lausche in das Treppenhaus hinein. Da gibt es dann zwei Szenarien, die ich immer wieder erlebe.
Das erste Szenario
Es klingelt an der Tür, währenddessen ich wie eben beschrieben, den menschlichen Notdürften nachkomme. Am Einlass angekommen öffne ich diesen einen Spalt und es kommt ein Mann mit Klemmbrett die Treppen hoch. Allein das lässt mein Blut schon anfangen zu kochen. Nachdem er dann grinsend vor mir steht und der Zugang von mir ein kleines Stückchen weiter geöffnet wird, gebe ich ihm damit den Startschuss, seinen Text aufzusagen. Und der freut sich über diese Tatsache, wie ein Kind, das zu Weihnachten sein Gedicht fehlerfrei aufgesagt hat. Bereitwillig lasse ich ihn ausreden, bin ja höflich verzogen worden. Sobald er nach längerem Warten meinerseits fertig ist, sage ich ihm kurz und knapp: kein Interesse. Darüber hinaus schließt sich meine Wohnungstür wieder. Im Treppenhaus höre ich nachfolgend und mit großem Erstaunen, dass der vermeintlich nett wirkende Mann dann doch einen ausgesprochen, sagen wir, umfangreichen Sprachschatz vorzuweisen vermag und Bezeichnungen kennt, die sogar mir neu sind. Zum Beispiel das Wort (Achtung: vulgärer Ausdruck) Pimmelbratze. Das kannte ich bis dato nicht …
Schlusswort
Diese Geschichte ist ein kleiner Auszug aus der kompletten Story meines E-Books „Kurzgeschriebenes – der Zweitling“ und ist somit die Fortsetzung meines Erstwerks „Kurzgeschriebenes – der Erstling„. Demnächst sind diese und weitere Werke fast überall als E-Book erhältlich.
Was schreibt ihr denn so? Betreibt ihr auch einen Blog oder schreibt ihr selbst gerne Geschichten? Vielleicht habt ihr bereits etwas Veröffentlicht?
(c) Bild
Vincent Groeneveld