Die Feder – Kurzgeschichte

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Ein Vogelschwarm flog hoch am wolkenlosen Abendhimmel von Norden nach Süden. Die Restsonne strahlte hunderte Vögel an und ließ sie leicht funkeln. Sie flogen wirr umher. Dennoch war eine Formation zu erkennen. Immer in einem großen V. Andere erkannten darin einen riesigen Vogel, der von den vielen Kleinen geformt wurde. Womöglich als eine Art Abschreckung vor Fressfeinden und Jägern. Es war ein beeindruckendes Schauspiel. Nun wusste jeder, der es sah, dass es bald kälter wird und der Winter seinen Einzug in diese Region ankündigt. So etwas wie eine natürliche Uhr, die sich um die ganze Welt dreht. Oder auch mit ihr.

Nur wenige blieben mit nach oben gerichtetem Blick stehen. Sie wussten von dem Aberglauben, den man sich unter Freunden und Verwandten erzählte. Wer eine Feder von genau dieser Vogelart auf die Erde fallen sieht und sie aufhebt, wird im nächsten Jahr mit Glück beschert. Da es aber niemanden gibt, der im Umkreis je so eine Feder sah, blieb es bei einem Aberglauben. So waren es manchmal fünf, im nächsten Jahr dann sechs oder sogar sieben Leute, die voller Hoffnung auf ihr Glück warteten. Auch in diesem Jahr war es anscheinend niemanden gegönnt. Die Sonne wurde vom Mond abgelöst, es wurde windig und kalt. Bis kurz vor Mitternacht blieben die Letzten erwartungsvoll stehen. Doch dann wurde ihnen klar, dass auch diesmal nichts aus ihrem Glück wurde.

Am nächsten Tag ging das Gerücht um, dass im Nachbarort eine Feder vom Himmel herabgefallen sei. Sie soll magisch Schimmern, wie es niemand zuvor gesehen habe. Alle machten sich auf, um die Feder im Nachbarort mit eigenen Augen zu sehen. Und so wurde aus einem Aberglauben ein aufsehenerregendes Ereignis gemacht. Ob gewollt oder ungewollt, die Menschen aus den umliegenden Dörfern und Städten strömten wie ein Bachlauf auf den glücklichen Finder der Feder zu. Und so bestätigte sich, dass diese Erzählung wohl der Wahrheit entsprungen sein musste. Aber alle waren sich einig zu warten. Und zwar auf das kommende Jahr. Erst da soll ja dem Finder der Feder das Glück beschert werden. Also warteten alle ungeduldig ab, bis sich das Jahr dem Ende neigte.

Das neue Jahr erstrahlte mit blauem Himmel, Sonnenschein und eisiger Kälte. Schnee gab es bisher kaum. Wenn doch, dann blieb er nur kurz liegen, wurde zu Matsch, der sich in der Nacht komplett zu Eis verwandelte. Der Finder war wohl der einzige Mensch am Neujahrstag, dessen Herz vor Aufregung einen Tanz hinlegte. Es raste, stolperte, rumste und beruhigte sich im ständigen Wechsel. Die Blicke der anderen und besonders die der Neider verfolgten den Glückspilz auf Schritt und Tritt. Zuerst bückte sich der Besitzer der Feder, um ein Goldstück aufzuheben, das zu seinen Füßen lag. Einige Schritte weiter, das gleich Szenario. Wieder etwas weiter …

Die stille Post war hier die Schnellste. So verbreitete sich auch das Gesehene. Der Finder fand den ganzen Tag lang Goldstücke. Er verschenkte sogar welche, da er selbst schon so viele hatte. Das mit der Feder war also keine Erfindung. Die abergläubische Erzählung erwies sich auch in den nächsten Tagen als wahr. Das ganze Jahr über hatte der glückliche Mann immer wieder Goldstücke gefunden. Seine Großzügigkeit hielten ihm die Gauner und Neider vom Leib. Immer wieder bekam jemand Zufälliges ein Goldstück von ihm ab. Da ganze Jahr über.

Im Frühjahr kehrte der Vogelschwarm wie immer zurück, im Herbst flog er wieder in den Süden. Wer die Feder diesmal bekommen hatte, wusste niemand. Es musste ganz woanders sein. Vielleicht gab es ja auch immer nur die eine. Aber das konnten die Menschen nur vermuten.

Am letzten Tag des Jahres, in der Silvesternacht, verschwand die Feder auf den Schlag genau um Mitternacht. Nun war das Glück vorbei. Der Mann war nun ein reicher und großzügiger Mensch geworden. Das Glück half ihm dabei. Und weit weg, an einem ähnlichen Ort, gab es erneut einen Glückspilz mit einer Feder. So wird es für immer weitergehen. Jedes Jahr ein anderer.

Ende

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Psaiko auf Pixabay

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